Mein Leben mit dem Cluster-Kopfschmerz
 
 

Mein Leben mit dem Cluster-Dämon


„Es zersägt mir den Schädel“: Wie ich gegen den „Suizid-Kopfschmerz“ kämpfe.

Der Cluster-Kopfschmerz gehört zu den schlimmsten Schmerzen überhaupt. Manche Patienten wollen lieber sterben, als sie immer wieder durchleiden zu müssen. Wie es sich anfühlt, seit Jahren damit zu leben.

Ich reibe meine rechte Schläfe mit der rechten Hand. Warum, weiß ich noch nicht. Ich bin im Halbschlaf, noch im Traum. Ich öffne meine Augen, es ist stockfinstere Nacht. Ein stechender Schmerz hinter meinem rechten Auge lässt mich fühlen, warum ich aufgewacht bin. ER ist wieder da, diese durchdringende, pochende, die Sinne raubende extremste Schmerz. ER hat einen Namen: Cluster-Kopfschmerz, auch Suizid-Kopfschmerz genannt.

Ich mache kein Licht an, taste nach einem Pen, es muss jetzt schnell gehen. Ich habe nicht viel Zeit, um mich für den ganz großen Auftritt meines regelmäßigen, wenn auch ganz und gar unwillkommenen, Gastes vorzubereiten. Denn noch hat der Schmerz nicht seinen Höhepunkt erreicht. Ich greife zu meinem besten Freund in dieser Lage, eine Einmalspritze mit dem Aufdruck: 'Sumatriptan Inject'. Ein Akutmittel gegen die sehr starken Schmerzen“.  Ein Triptan. Meine Hände zittern, ich habe eine solche Angst vor dieser Heimsuchung. Ich ziehe die Kappe ab, setze den Pen auf meinen Oberarm, drücke oben am Pen ab. Die darin befindliche Flüssigkeit schießt brennend ein. Fünf, manchmal zehn Minuten brauchen sie, bis sie den Schmerz für mich erkennbar bekämpfen.

„Bitte hör auf, Gnade, es reicht“

Doch er ist immer schneller. Er sticht jetzt immer heftiger gegen meine rechte Stirnseite, zersägt mir von innen meinem Schädel. Nicht gleichmäßig, sondern in Abständen, so dass ich mich nicht darauf einstellen kann. Perfide. Ohne Gnade. Es brennt und sticht im Auge. Ich schnappe mir eine Packung Taschentücher vom Nachtisch, ertaste mir den Weg in unser Gästezimmer oder Kellerraum. Ich will meine Frau und mein Kind nicht damit belasten, was jetzt folgt. Es ist immer das Gleiche und ich verliere in diesen Minuten fast komplett die Kontrolle über mein Handeln. Das müssen sie nicht mitbekommen. Mir kann jetzt in dieser Kopfschmerz-Hölle ohnehin niemand helfen, wenn Gott will nur das Triptan.

Ich lege mich auf den Boden und fange an, wie wild meine rechte Stirnseite, meine Schläfen zu reiben, an meinen Haaren zu reißen, mir an den Kopf zu schlagen. Mit einer Hand, mit zwei Händen, immer heftiger. Ich trete gegen die Wand, stöhne. Das rechte Auge tränt, meine Nase läuft. Ich greife nach den Taschentüchern, schneuze. Immer wieder. Es ist wie ein Reflex. Alles jetzt geschieht reflexartig. Um vom erniedrigenden Schmerz abzulenken, beiße ich mir auf die Unterlippe, in die Hände... es erscheint wie ein Nadelpieks und hilft nicht den unerträglichen Schmerz aus dem Schädel zu bekomme, er peinigt unaufhaltsam weiter.

Ich massiere meine Stirn, als ob ich den Schmerz herausreiben will. Er hat nun seinen Höhepunkt erreicht, schneidet, sticht, pocht, drückt. Alles gleichzeitig. Ich flehe ihn an, mal murmelnd, mal rufend: „Bitte hör auf, Gnade, es reicht.“

Ich habe keine Geduld mit den Triptanen, ich werde immer verzweifelter, stöhne, reibe, trete, schnupfe. Dann, nach einer gefühlten Ewigkeit, nimmt das Pochen an Intensität ab, die Säge macht längere Pausen. Doch mein Gast wehrt sich, er schlägt in meinen Kopf um sich, trifft mich immer wieder. Gefühlt treibt Er seinen glühenden Dolch durch den Hinterkopf in meine Augenhöhle und vorn wieder heraus.

Nach weiteren quälenden Minuten tritt diese Plage seinen Rückzug an, ich muss nicht mehr reiben und schnupfen, bekomme die Kontrolle über mich zurück. Ich ärgere mich über meinen bisher so zuverlässigen Partner aus dem Einmalpen, der mir dieses Mal viel zu spät geholfen hat. Doch erstmal bin ich zu tiefst dankbar, dass er weg ist und schlafe ein.

Ich leide seit 13 Jahren unter Cluster-Kopfschmerzen, seit 6 Jahren ein austherapierter dazu. Im ersten Sommer, an dem er mich besucht hat, war ich ihm hilflos ausgeliefert. Ich bin mit den  Allerwelts-Schmerzmitteln Ibuprofen, Paracetamol und Novalminsulfon in diesen ungleichen Kampf gegangen. Die Attacken dauerten deshalb bis zu drei Stunden, zwischenzeitlich war ich kurz davor, den Notarzt zu rufen.

Cortison in Stoßtherapie soll Hilfe bringen, die Attackenfrequenz durchbrechen und eine Atempause bringen

Alle zwei Tage kam er, nach einer Handvoll fieser Angriffe war er so schnell weg, wie er gekommen war. Ich habe es auf den sehr warmen Sommer geschoben, mir keine weiteren Gedanken gemacht. Im zweiten Jahr kam er wieder, ungefähr zur gleichen Zeit. Mein Hausarzt wusste keinen Rat und begann mit mir ein Lebensmittel- und Schmerztagebuch zu führen um daraus vielleicht etwas herleiten zu können. Davor hatten schon andere Ärzte sich vergeblich an einer Diagnose ohne Erfolg versucht. Der Mediziner hörte sich meine Symptome an. Für eine Diagnose brauchte er dann nicht lange: „Cluster-Kopfschmerz.“ Er ging mit mir auf Ursachenforschung. Doch ich gehörte keiner der normalen Risikogruppen an, rauchte nicht, trank nicht viel Alkohol, war viel an der frischen Luft.

Kurzum: Ich müsste mich wohl mit dem Gedanken anfreunden, dass er immer wieder kehrt. Und zwar, wie es seinen Namen entspricht, ziemlich geballt. Mein Hausarzt überwieß mich nach Kiel in die dortige Schmerzklinik. Der Neurologe dort stellte mich auf den Kopf und bestätigte die Vermutung des Cluster-Kopfschmerz-Syndrom. Warum ich, was soll das, was habe ich falsch gemacht? Man verschrieb mir Cortison, Triptan-Tabletten und schnell wirksame Triptan-Spritzen sowie AscoTop Nasal gegen die akute Schmerzbekämpfung und empfahl mir Verapamil, das nach der jeweils ersten Attacke weitere als Prophylaxe verringern sollte.

Tatsächlich konnte ich mich in den nächsten Jahren nicht nur auf die regelmäßige Wiederkehr des Schmerzes verlassen, sondern auch auf die empfohlenen Medikamente. Da mein Peiniger mich fast immer nachts besucht und ich erst aufwache, wenn der Höhepunkt kurz bevorsteht, kommen die Schmerzmittel fast immer zu spät zum Einsatz. Aber das Triptan wirkte meist schnell und das Verapamil verringerte die Zahl der jährlichen Attacken auf täglich zwei bis drei. Aushaltbar. Schließlich hatte ich inzwischen erfahren, dass es manch einem Leidensgenossen viel schlimmer ergeht. Offenbar trägt er seinen Beinahmen Suizid-Kopfschmerz nicht umsonst.

Resistent gegenüber empfohlenen Medikamenten.
Doch über die Jahre schien sich mein Gegner auf diesen Gegenangriff eingestellt zu haben. Vor allem das Prophylaxemittel entfaltete seine Wirkung immer langsamer. Die Qualen ließen mich immer flehentlicher um Erlösung bitten. Der Neurologe und ich probierten es mit Lithium und Topiramat. Ich verzichtete in den kritischen Wochen komplett auf das alles was Attacken als sogenannter "Trigger" begünstigt... mal auf das Glas Wein am Abend, Schokolade, Tomaten, Citrusfrüchte und deren Säfte, Käse, scharfes und asiatisches Essen. Ohne Erfolg. Die Anfälle wurden unerträglich, denn auch das Cortison, welches für eine gewisse Begrenzung sorgen sollte, versagte nun die Hilfe. Ich brauchte ein Mittel, was unmittelbar wirkt. Triptane füllen diese Rolle jetzt jahrelang aus.

Nicht mehr. In diesem Herbst ließ mich eben auch dieser Helfer in der Cluster-Not teilweise im Stich, so dass ich weit mehr als das normal übliche an Dosis förmlich in  meinen Körper rein pumpte. Auch gegen meine gewohnte Cortison-Ladung ist mein Feind offenbar über die Jahre immun geworden. Mein Neurologe eröffnete deshalb die Möglichkeit einer OP, wo mittels eines Chips Attacken kupiert werden können, bislang scheint dies aber auch nicht vielversprechend zu helfen, so das Ergebnis bislang bei anderen Patienten, die den sogenannten SPG schon länger nutzen. Der Neurologe wechselte nun das Verapamil gegen Isoptinn240 retard aus. Dieses scheint für diesen Augenblick tatsächlich die Attacken deutlich in Anzahl und Stärke zu verringern. Ich bin aber voller Hoffnung, dass ich ihn damit zumindest eine gewisse zeitlang in Schach halten werde. Genauso sicher bin ich mir aber auch, dass er mich wieder besuchen und mich nachts aus dem Schlaf reißen wird.